Dampfpflügen:
Eine heute fast vergessene Landmaschinentechnik
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In der chronologischen Entwicklung der Landwirtschaft stand zwischen Pferd und Traktor eine heute fast vergessene Form der Maschine: Die Lokomobile!
Diese heute urtümlich anmutenden Gefährte waren
Universalmaschinen:
Selbstfahrend konnten sie an jede Arbeitsstelle gelangen und mit ihrer Schwungscheibe über einen ledernen Flachriemen andere Maschinen antreiben. Es gab für alle erdenklichen Zwecke besondere Maschinen. Sie konnten z. B. dreschen, sägen, Strohballen binden, Kartoffeln sortieren und Mais häckseln.
Lok 744 in Aktion als Video: wmv-file (Ladezeit ca.25 sec.)
Die interessanteste Anwendung von Lokomobilen ist aber wohl das Dampfpflügen mit dem Fowlerschen Zweimaschinensystem, das die Firma Fowler aus Leeds in England im Jahre 1858 erstmals vorstellte. Eines der beiden letzten betriebsfähigen Dampfpflugsätze im deutschsprachigen Raum hatte am 08.09.2001 anläßlich der Auftaktveranstaltung zu den bayrischen Ökotagen eine Schauvorführung an seiner jetzigen Heimat, dem Agrarbildungszentrum Landshut-Schönbrunn. Ich hatte das Vergnügen, diesem Spektakel beizuwohnen und bedanke mich an dieser Stelle besonders bei Herrn Dr. Hans-Joachim Frey, dem Leitenden Landwirtschaftlichen Direktor, der mir Einsicht in seine Unterlagen gewährte.
Beim Fowlerschen System stehen sich zwei Lokomobile mit waagrecht
unter dem Dampfkessel liegenden Seilwinden am Feldrand gegenüber.
Der Maschinist kann mit einer Kupplung die Seilwinde einschalten und
über die Dampfmaschine Richtung und Drehzahl der Seiltrommel bestimmen.
Zwischen den beiden Maschinen hängt ein
Kipp- bzw. Balancierpflug, der mit dem
Stahlseil hin- und hergezogen wird. Die Geschwindigkeit betrug bei der
Vorführung etwa doppelte Schrittgeschwindigkeit! Der Pflug bildet ein
“V” und ist symetrisch so aufgebaut, daß er in beide Richtungen wirken
kann. Der eine Schenkel ist zum Hin- und der andere Schenkel zum
Herpflügen.
Der Pflug hat vier Räder: Die zwei Großen in der Mitte sind immer auf
der Erde und eines der beiden Kleinen je nach Arbeitsrichtung. Die
großen Räder sind wie bei einem Auto gelenkt und mit einer
Spurstange verbunden. An den beiden Enden des Pfluges sind zwei
Sitzbretter, auf denen die Pflugmannschaft mitfährt. Ein Mann (in
diesem Fall der bay. Staatsminister Josef Miller persönlich!) lenkt den
Pflug mit einem Rad in der Furche. Natürlich hat der Pflug keine
Servolenkung und besonders am Anfang der Furche steht er noch nicht
ganz richtig in Fahrtrichtung. Der Minister hatte also alle Hände voll zu tun, dank professioneller
Unterstützung und Anleitung hat er es aber gut hingekriegt. Die beiden anderen Männer dienen
als Ballast (und Instruktoren) und helfen beim Kippen des Pfluges am Feldrand.
Die Breite des zu pflügenden Ackers kann abhängig von der
aufgewickelten Seillänge bei diesen beiden Loks bis 550 Meter
betragen. Die zwei Mannschaften der Lokomobile verständigen sich
über diese Entfernung mit Pfeifsignalen. Die Pflugmannschaft kann
höchstens winken und ist auf die Sorgfalt der Lokführer angewiesen.
Vor jeder Richtungsumkehr wird der Pflug in
seine neue Arbeitsposition gekippt. Dazu wird
das Seil in einen Haken an dem noch nach oben zeigenden Schenkel
des Pflugs gehängt. Dann pfeift der Lokführer und der andere Lokführer
zieht vorsichtig an. Der Zug des Seiles kippt dann den Pflug in seine
neue Position und die Mannschaft sitzt auf. Der andere Lokführer muß
scharfe Augen haben, denn er steht ja ziemlich weit weg!
Das Wenden des Pfluges als Video: wmv-file (Ladezeit ca. 25 sec.)
Jedesmal wenn eine Lok zieht fährt die andere, da sie ja jetzt keine
Arbeit leisten muß, ein Stück vorwärts. Der Lokführer hat jetzt auch kurz
Zeit, sich der Feuerführung und dem Wasserstand zu widmen oder
selbst einen Schluck aus der Flasche zu nehmen. So arbeiten sich die
Mannschaften Stück für Stück voran bis der ganze Acker gepflügt ist.
Drei Pfeiftöne kurz hintereinander bedeuten übrigens Mittagspause.